Reichspogromnacht in Bamberg

Je mehr ich darüber nachdenke, desto mehr wird mir bewusst, dass es sich bei der Reichspogromnacht bzw. deren Beschreibung um zwei verschiedene Sachverhalte handelt: um den politisch-moralischen und den juristischen Teil.

  • Der politisch-moralische wird nicht aufgearbeitet bzw. bewältigt werden können, weil die Schuld zu groß ist und bestehen bleiben wird. Daran sollte alle Jahre erinnert werden.
  • Der juristische ist rechtskräftig aufgearbeitet. Daran braucht – wenn nicht besondere gravierende Umstände zutage treten – nicht mehr herumgekrittelt zu werden.

Die Große Strafkammer des Bamberger Landgerichts, die ihre liebe Not mit den Zeugen hatte, wie nach einer Anmerkung des Vorsitzenden – „von den Zeugen-aussagen sind viele nur von bedingtem Wert“ – zu schließen ist, hat am 26. November 1946 ihre Entscheidung getroffen (Kls 15/46). Verurteilt wurden unter dem Präsidenten Weinkauff*) (lt. Prozessakten des Landgerichts, die sich seit 1995 im Bestand des Staatsarchivs Bamberg – Akten K 105 StAnw Nr. 642 und 661, dann K 5 Nr. 3148 sowie K 105 LG. Nr. 642.2 – befinden):

Heinrich Klug Verbrechen des schweren Landfriedensbruchs in Tateinheit mit schwerem Hausfriedensbruch, Brandstiftung, schwerer Brandstiftung, gemeinschädlicher Sachbeschädigung und Zerstörung von Bauwerken, eines weiteren fortgesetzten Verbrechens des schweren Landfriedensbruchs in Tateinheit mit schwerem Hausfriedensbruch, gemeinschädlicher Sachbeschädigung, Zerstörung von Bauwerken und versuchter und vollendeter Nötigung, eines weiteren Vergehens der Nötigung sechs Jahre Zuchthaus
Peter Barth Vergehen des einfachen Landfriedensbruchs neun Monate Gefängnis
Karl Hermann Vergehen des einfachen Landfriedensbruchs ein Jahr Gefängnis
Gottfried Heinz Vergehen des einfachen Landfriedensbruchs ein Jahr Gefängnis
Franz Ferling Verbrechen des schweren Landfriedensbruchs in Tateinheit mit schwerem Hausfriedensbruch und gefährlicher Körperverletzung [begangen an Sally Sternglanz und Otto Kahn] fünf Jahre Zuchthaus
Otto Körk Verbrechen des schweren Landfriedensbruchs in Tateinheit mit schwerer Körperverletzung mit Todesfolge [begangen an Willy Lessing] und Raufhandel, eines weiteren fortgesetzten Verbrechens des schweren Landfriedensbruchs in Tateinheit mit schwerem Hausfriedensbruch, gemeinschädlicher Sachbeschädigung, Zerstörung von Bauwerken und versuchter und vollendeter Nötigung, eines weiteren Vergehens der Nötigung sieben Jahre Zuchthaus
Hans Stadler Verbrechen des schweren Landfriedensbruchs in Tateinheit mit schwerem Hausfriedensbruch, Brandstiftung, schwerer Brandstiftung, gemeinschädlicher Sachbeschädigung, Zerstörung von Bauwerken, schwerer Körperverletzung mit Todesfolge [begangen an Willy Lessing] und Raufhandel sechs Jahre Zuchthaus.

 Trotzdem haben sich seither mehrere Leute unter Aufbietung obskurer Zeugen zu Wort gemeldet und in besserwisserischer Manier Geschichtsklitterung par excellence betrieben.

So schrieb im Jahr 2000 Helmut Metzner**) in seinem Aufsatz „Willy Lessing – ein Bamberger Opfer des Nationalsozialismus“ in: 136. Bericht des Historischen Vereins Bamberg 2000, in dem er sich weitgehend auf vorher veröffentlichte Publikationen bezieht:

„Wer war Willy Lessing?

Dieser Beitrag stellt den Versuch einer Annäherung an den Bamberger Geschäftsmann, den Juden, den Liberalen Willy Lessing dar. Dabei sollen vor allem Zeitzeugen zu Wort kommen, deren Schilderungen überliefert sind. Es ist richtig, die tradierten Quellen zu Lessings Leben sind nicht allzu üppig. Dennoch lässt sich aber über ihn und sein Wirken mehr berichten als die schreckliche Szene der sogenannten ‘Reichspogromnacht’, die sein Ende bedeutete und die noch zu schildern sein wird …

Willy Lessing war bereits im Jahr 1934 Vorsitzender der Kammer der Israelitischen Kultusgemeinde. Für die Wahlperiode 1936/40 wurde er zum Vorstands-vorsitzenden der Gemeindeversammlung über eine gemeinsame Liste aller Strömungen innerhalb der Gemeinde gewählt. In den Vorjahren hatte er für die Gruppe liberaler Juden kandidiert. Der Vorstand organisierte gemeinsam mit den Gemeindeangestellten das jüdische Leben in Bamberg. Lessing gehörte der Beerdigungsbruderschaft Chebra Kadischa an und war Vorsitzender der Ortsgruppe Bamberg des jüdischen Kulturbundes. Seine Frau engagierte sich im israelitischen Frauenverein Bamberg.1

Am 10. November [1938] gegen 2 Uhr morgens erhielt Lessing einen Anruf aus dem jüdischen Gemeindezentrum ‘Weiße Taube’ [Generalsgasse Nr. 15], dass die Synagoge brenne. Er zog sich an und verließ sein Haus. Dazu schreibt Thomas Dehler: ´Willy Lessing, der sich in der Not zur Übernahme des Amtes des Vorstandes der Kultusgemeinde hatte bestimmen lassen, glaubte arglos an ein Unglück und ging zum Brandplatz um zu helfen.’39

Tatsächlich hatten SA und SS-Horden in einer organisierten Aktion am 9. November gegen 23 Uhr das jüdische Gotteshaus geschändet und in Brand gesetzt. Die von Anwohnern alarmierte Polizei traf gegen 1.20 Uhr ein, um mit den Löscharbeiten zu beginnen. Ein anwesender Staatsanwalt wies den Feuerwehrkommandanten zurecht, er solle sich nicht um Dinge kümmern, die ihn nichts angehen. Einem trotzdem erfolgten Löschversuch an der Nordseite des Gebäudes trat der Kreisleiter der NSDAP persönlich entgegen. Von da an beschränkte sich die Tätigkeit der Feuerwehr auf die Sicherung der Nachbargebäude, was von einem Mitglied der Feuerwehr in einem Gerichtsprozess 1946 als ‘Schauspritzen’40 bezeichnet wurde. Willy Lessing traf kurz nach 2 Uhr am Ort des Geschehens ein, wo er in der Urbanstraße an einer Absperrung erkannt wurde und von einem SA-Mann unter Beschimpfungen bis zum Eckhaus Herzog-Max/Amalienstraße getrieben wurde. Dort misshandelten ihn mehrere Uniformierte schwer. [Es fehlen die Findstellen; Meinung des Autors? A. St.] …

Ein Augenzeuge, Heinz Ferdinand Fränkel, beobachtete den Synagogenbrand vom Haus der Familie Kahn aus und sah, ´wie ein Hitlerjunge am Zaun des Hauses Ecke Amalienstraße eine Eisenstange abriss und auf einen älteren Herrn einschlug. Herr Kahn sagte, daran erinnerte ich mich noch sehr genau, das ist ja Herr Lessing!’41 Lessing wurde gezwungen sich als ‘Dreckjud’ und ‘Saujud’ zu beschimpfen, ehe man ihn auf der Straße liegen ließ. Nachdem er sich blutüberströmt nach Hause geschleppt hatte, wurde er dort erneut von Uniformierten und Personen in Zivil heimgesucht, aus dem Haus geprügelt und misshandelt, ehe er leblos im Eingang des Hauses Sophienstraße 4 liegen blieb. Die übrigen ins Haus eingedrungenen Täter zündeten unterdessen einen Korb mit Holzwolle an und verließen den Tatort, der entstehende Brand konnte jedoch bald von Hausbewohnern gelöscht werden. Willy Lessing war so schwer misshandelt worden, dass er am nächsten Tag als alle männlichen Bamberger Juden in das Konzentrationslager Dachau gebracht wurden, nicht transportfähig war. [Wessen Aussage bzw. wessen Meinung? Die des Augenzeugen oder die des Autors? A. St.] …

Fred Lessing schilderte die weiteren Geschehnisse um seinen Vater wie folgt: ´Mit Hilfe des Erzbischofs und aller möglichen Leute konnte er ins allgemeine Krankenhaus gebracht werden, was natürlich für Juden normalerweise unmöglich gewesen wäre. Er war jedoch eine sehr prominente Persönlichkeit, jeder kannte ihn.’42 In einer Besenkammer wurde er durch den Krankenhausdirektor Dr. Lobenhoffer und eine Niederbronner Schwester gepflegt.43

Der Haupttäter des Verbrechens an Willy Lessing, ein Angehöriger der Hitler-Jugend, erhielt am 28. November 1938 aus der Hand des höheren HJ-Führers Winfried Dix in der HJ-Dienststelle in der Luitpoldstraße die goldene HJ-Verdienst- nadel für ´besondere Leistungen bei der Behandlung von Untermenschen’.48

Willy Lessing erlag am 17. Januar 1939, zwei Tage vor seinem 58. Geburtstag seinen Verletzungen. Er hatte sich von den Folgen der Misshandlungen nicht mehr erholt.50

1946 wurde einem der Peiniger Lessings der Prozess bereitet. Er wurde mit Hilfe des damaligen Generalstaatsanwaltes Thomas Dehler im Rahmen der gerichtlichen Aufarbeitung des Synagogenbrandes zur Rechenschaft gezogen und wegen Körperverletzung mit Todesfolge verurteilt. Er musste eine Haftstrafe von zwei Jahren und vier Monaten verbüßen. Einer der Brandstifter der Synagoge erhielt zwei Jahre Freiheitsentzug. Der verantwortliche ehemalige Kreisleiter und Ober- bürgermeister Lorenz Zahneisen musste vier Jahre einsitzen. Die beiden jungen Männer, die Lessing vor der Synagoge überfielen, kamen nicht vor Gericht.51 …“

Schlussbemerkung:
Der Aufsatz ist tendenziös. Auf dieser Ebene liegt leider auch der FT, wenn er am 7.11.2008 schreibt, dass in Bamberg die Synagoge dem nationalsozialistischen Terror zum Opfer fiel und der damalige Vorsitzende der Israelitischen Kultus-gemeinde, Willy Lessing, beim Versuch, die Thorarollen aus dem brennenden Haus zu retten, schwer misshandelt wurde und die Verletzungen zwei Monate später zu seinem Tod führten. Das Beiwerk kann weggelassen werden. Die Ausschreitungen bleiben ein Verbrechen – unabhängig von der Beantwortung der Frage, warum Lessing zur Synagoge gegangen ist. (Der FT-Artikel hat mich übrigens zum Schreiben dieser Abhandlung veranlasst.)

NB Verschiedentlich wird behauptet, z. B. von Andreas Ullmann unter Zitierung des Buches „Juden in Bamberg“ von Herbert Loebl (siehe FT vom 3. und 13.11.2007), dass Lessings Hausarzt Dr. Siegmund Bauchwitz [*13.11.1876 Schibug] ebenfalls Opfer der Pogromnacht 1938 geworden sei. Als Zeugin wird [die am 27.12.1930 in Bamberg zur Welt gekommene] Eva Schapira, geborene Buxbaum (d. h. Tochter von Siegmund Buxbaum [*1.4.1901 Würzburg] und Mathilde, geb. Neuburger [*24.7.1906 Regensburg]), bemüht, die vom Haus ihrer Großeltern in der Hainstraße 5 gesehen haben will, dass Bauchwitz nachts im bzw. vor dem Haus Hainstraße 7 „blutig geschlagen wurde“. Einer solchen Missetat ist niemand im Prozess vom 26. November 1946 beschuldigt worden. Das relativiert keineswegs die Tatsache, dass Dr. Bauchwitz wirklich Opfer der NS-Gewaltherrschaft wurde und im Oktober 1944 in Auschwitz umgebracht worden ist. Hier geht es aber um die Bamberger Pogromnacht und um nichts anderes.

Andreas Stenglein
Montag, 1. Dezember 2008

Jede Verwertung, insbesondere das Herstellen von Kopien sowie die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen, ist ohne meine Einwilligung nicht erlaubt.

Der FT hat in dieser Sache am 7. Februar 2009 einen ausführlichen Artikel unter der Überschrift
Es liegt noch vieles im Dunkeln veröffentlicht.


*) Weinkauff, Hermann [1894-1981]: Landgerichtspräsident ab 1.4.1946 am 16.3.1946 wieder eröffneten Landgericht Bamberg. Ab 1.9.1949 OLG-Präsident in Bamberg und ab 1.10.1950 Präsident des Bundesgerichtshofs (bis 28.2.1960). Beisitzer: Oberlandesgerichtsrat Trautner und Amtsgerichtsrat Hess. Staatsanwalt war Max Ehrnsperger, über den ich Biografisch nichts in Erfahrung bringen konnte. Als Urkundsbeamter fungierte Justizassistent Müller.

Ergänzung:

Die Personendaten  ergänze ich wie folgt:

Weinkauff        Hermann         *10.02.1894     +xx.07.1981
Trautner          Theodor           *24.12.1883     +xxxxxx            zuletzt OLG Bamberg
Hess                 Hans                *30.11.1909     +?                     oder
Hess                 Raimund         *05.02.1913     +xx.01.1992     zuletzt LG Bamberg
Ehrnsperger    Max                 *22.03.1907     +16.01.1988    zuletzt LG Traunstein
Müller             Georg               *01.06.1914     +15.12.1997.

Freundliche Hinweise vom Staatsministerium der Justiz sowie dem Landgericht und Oberlandesgericht Bamberg. Nicht klären konnte ich die Personalia Hess. Die infrage kommenden Personalakten befinden sich mittlerweile im Bestand des Staatsarchivs Bamberg unter „OLG Bamberg, K 100/IV, Nrn. 4797 – 4801“.

Andreas Stenglein, 15. Juni 2016.

**) Metzner, Helmut: *11. Dezember 1968 Bamberg. Vgl. www.muntermachermetzner.de

1) Diese Angaben sind den Verwaltungsprotokollen und der Korrespondenz der Kultusgemeinde Bamberg entnommen. Sie befinden sich in Kopie in: ASB, B.S. Boykott / Judenverfolgung, NR 472.

39) FT vom 26. Januar 1946.

40) Mistele, Karl H. (wie Anm. 33), S. 44. [Anm. 33 = „Mistele, Karl H. Das Ende einer Gemeinde. Juden in Bamberg 1930-1942. Bamberg 1980. S. 23.„]

41) Heinz Ferdinand Fränkel [30.11.1932-29.5.2004] in: ASB, B.S. Willy Lessing, Nr.483.
Anmerkung: Es gab mehrere Familien namens Kahn. In Betracht kommen könnte OLG-Rat i.R. Hermann Kahn, Herzog-Max-Straße 12/2, 40 bis 60 Meter von der Ecke Herzog-Max-/ Amalienstraße entfernt. Nach den Prozessakten wurde Lessing vor dem Anwesen Röckl in der Amalienstraße geschlagen; das Geschehen konnte folglich von der Herzog-Max-Straße aus nicht beobachtet werden. A. St.

42) Fred Lessing (wie Anm. 20). [Anm. 20: Fred Lessing im Interview mit Herlinde Koelbl, o.O. o.J. Fotokopie im ASB, B. S. Willy Lessing, Nr. 483.]
Anmerkung: Lessings Köchin Maria Bayer sagte lt. Protokoll des Landgerichts als Zeugin vor Gericht aus, „dass [der Oberarzt der medizinischen Abteilung des Städt. Krankenhauses] Dr. Pius Müller auf Bitte von Lessings Hausarzt Dr. Siegmund Bauchwitz zu Lessing gegangen ist“ und Lessing – nach Dr. Müllers Aussage – normal wie jeder andere auch im Krankenhaus behandelt wurde, die Behandlung aber wegen Lessings Zuckerkrankheit problematisch gewesen ist“. Dass der Erzbischof – und noch dazu mit Erfolg – interveniert haben soll, erscheint angesichts der damaligen politischen Verhältnisse unwahrscheinlich. A. St.

43) Nikola, Ulrike [*1967 in Hagen]. 60 Jahre Pogromnacht in Bamberg. Manuskript zur Sendung des Bayerischen Rundfunks – Bayern 2 vom 7. November 1998.
Anmerkung: Die Angaben decken sich nicht mit denen des Oberarztes Dr. Pius Müller. Eine Besenkammer im Sinne des Wortes, in die nicht einmal ein Bett passt, kann in diesem Zusammenhang bei bestem Wohlwollen nicht gemeint sein, sondern ein Privatzimmer, weil – wie ich noch aus eigener Erfahrung in Erinnerung habe – diese ganz einfach möblierten Zimmer im Unterschied zu den damaligen großen Sälen mit 20-30 Betten nicht viel größer als eine Besenkammer waren. A. St.

48) Heinz Ferdinand Fränkel (wie Anm. 41).
Anmerkung: Fränkel benennt den Namen des „Haupttäters“ nicht, weil er, wie mir Winfried Dix (*1923) am 14.11.2008 sagte, das nicht kann und die Äußerungen auf eine Privatfehde mit ihm wegen eines angeblich nicht zufriedenstellend geregelten Versicherungsfalles (D. betreibt ein Versicherungsbüro) zurückgehen. Eine goldene HJ-Verdienstnadel für „besondere Leistungen bei der Behandlung von Untermenschen“ gab es nicht, auch keinen höheren Führer Winfried Dix; der war ein kleiner [Jungenschafts- oder Jungzug-] Führer und nicht zuständig. Die HJ-Dienststelle war nicht in der Luitpoldstraße, sondern in der E. T. A. Hoffmann-Straße. A. St.

50) ASB. B.S. Willy Lessing, Nr. 483.
Anmerkung: Für die Behauptung, dass Lessing an den Folgen der in der Reichspogromnacht erlittenen Körperverletzungen gestorben sei, gibt es in den Archivalien der Stadt Bamberg keine Anhaltspunkte. Nach dem Sterbebuch des Standesamts Bamberg 1939, Nr. 42, und der Sammelakte beim Stadtarchiv Bamberg [StadtAB] ist Wilhelm Heinrich Israel Lessing, israelitisch, am 17. Januar 1939 im Krankenhaus, Untere Sandstraße 32, um 16 ½ Uhr (lt. Mitteilung des Krankenhauses, Prof. Lobenhoffer [Faksimile] und Schwester Oberin Myronia) gestorben. In beiden Dokumenten ist keine Todesursache eingetragen. Im Totenregister der Friedhofsverwaltung beim StadtAB hingegen ist verzeichnet, dass Lessing nach den Angaben des Oberarztes Dr. Pius Müller an Sepsis, Diabetes mellitus und Herzschwäche gestorben ist. Vgl. Müllers Aussage vor Gericht 1946 (siehe FN 42). A. St.

51) Nikola, Ulrike. 60 Jahre Reichspogromnacht in Bamberg. Manuskript zur Sendung des Bayerischen Rundfunks – Bayern 2 vom 7. November 1998.
Anmerkung: Angeklagt und verurteilt wurden (lt. Prozessakten des Landgerichts) sieben Personen, worauf ich eingangs bereits hingewiesen habe. „Die beiden jungen Männer“ – Fränkel sah nur einen – scheinen Fantasiegebilde zu sein. Ankläger ist StA Max Ehrnsperger gewesen. Ob Thomas Dehler eine Rolle spielte, ist nicht ersichtlich. „Gegen Lorenz Zahneisen, Adalbert Erck, Wengler, Dr. Fritz Gerneth und Bergner [als weitere Verdächtige] wird“, wie im FT vom 16.10.1946 nachzulesen ist, „später verhandelt, da sie sich in amerikanischen Internierungslagern befinden.“ Über dieses Verfahren bzw. den Ausgang desselben habe ich nicht nachgeforscht. A. St.

Die restlichen Täter sind am 11. April 1949 von der Großen Strafkammer des Landgerichts Bamberg unter Vorsitz des Landgerichtsdirektors Dr. Georg Fick [zuletzt von 1955-62 Generalstaatsanwalt am OLG Bamberg] verurteilt worden, wie der „Fränkischer Tag“ am darauffolgenden Tag unter der Überschrift „Schwere Strafen für Synagogenschänder“ berichtete.

Der Vorsitzende der Großen Strafkammer des Landgerichtes Bamberg, Landgerichtsdirektor Dr. Fick verkündete am Montag nach dreiwöchiger Verhandlung im Synagogenprozeß den Urteilsspruch. Danach wurden verurteilt: Lorenz Zahneisen zu vier Jahren Zuchthaus unter Anrechnung von acht Monaten auf die Untersuchungshaft, Karl Bergner zu zwei Jahren Zuchthaus unter Anrechnung von acht Monaten, Hans Schmitt zu drei Jahren Zuchthaus. Emil Frank zu sieben Monaten Gefängnis, Georg Wilhelm zu zwei Jahren vier Monaten Zuchthaus unter Anrechnung von fünf Monaten, Hans Sauer und Johann Georg Schedel zu je sechs Monaten Gefängnis, Georg Fleischmann zu einem Jahr zwei Monaten Zuchthaus, Valentin Wirth zu zwei Jahren Zuchthaus unter Anrechnung von vier Monaten, Paul Rost zu einem Jahr zwei Monaten Zuchthaus, Adam Rudhart zu einem Monat Gefängnis (gilt als verbüßt), Margareta Bauer und Georg Schlegel zu je sechs Monaten Gefängnis, Adalbert Erk zu drei Jahren Zuchthaus, Walter Wengler zu einem Jahr neun Monaten Zuchthaus, Dr. Fritz Gerneth zu zwei Jahren einem Monat Zuchthaus, Anton Bäuml zu einem Jahr sechs Monaten Zuchthaus, Max Matthäus Beier und Georg Ullrich zu je einem Jahr Gefängnis. Johann Porzel und Adolf Denninger wurden freigesprochen. Den Verurteilten Rost, Fleischmann und Wirth wurden die Ehrenrechte auf zwei Jahre aberkannt. Fortdauer des Haftbefehls gegen Zahneisen und Bergner und Erlassung des Haftbefehles gegen Schmitt, Wilhelm, Wirth, Erk und Gerneth würde angeordnet. In der Urteilsbegründung führte der Vorsitzende u. a. aus: „Was die Angeklagten in jener Nacht vom 9./10. November und am 10. November 1938 getan haben, war niedrig. ehrlos und gemein.“ Zum Teil handelte es sich um das Austoben brutaler Instinkte durch Männer, die sich zur Zierde des deutschen Volkes rechneten. Was sich damals ereignet habe, sei ein Markstein auf dem Weg, der dann das deutsche Volk ins Verderben geführt habe. Darum gehe es nicht an, jene Dinge heute zu bagatellisieren. Das Gericht habe bei der Urteilsfindung nicht außer acht gelassen, daß die damalige Staatsführung einen wesentlichen Beitrag zu den begangenen Verbrechen geleistet habe. Das Gericht habe sich auch eingehend mit der Frage beschäftigt, inwieweit es möglich sei, die Internierungshaft auf die zu erkennende Strafe anzurechnen. Dies wäre aus rechtlichen Gründen abgelehnt worden. Das Gericht hätte auch aus menschlichen Gründen für billig befunden, die wirtschaftliche Situation der Angeklagten nicht ganz außer acht zu lassen.

Im einzelnen ergab die Hauptverhandlung folgendes Bild: Die Ausschreitungen jener Tage sind nicht aus dem Volk entstanden. Die Frage, wie und wann ein ausdrücklicher Befehl der Gauleitung an die Bamberger Kreisleitung ergangen ist, konnte nicht restlos geklärt werden. Zahneisen hat die Vorgänge zweifellos gewollt. Er hat persönlich die Feuerwehr vor der brennenden Synagoge in Bamberg daran gehindert, ihre Pflicht zu tun. Bei der Anzündung der Synagoge in Hirschaid war Zahneisen anwesend. In Demmelsdorf, Walsdorf und Trabelsdorf begnügte man sich damit, die jüdischen Gotteshäuser nur zu zerstören, weil sich die Bevölkerung einer Brandstiftung entgegensetzte. Dafür wurde die Synagoge in Reckendorf restlos demoliert und die in Burgpreppach samt der jüdischen Schule niedergebrannt, wobei es mehrfach, wie auch in Bamberg (Lessing!), zu Mißhandlungen von Juden gekommen ist. In keinem einzigen Falle, so stellte das Gericht ausdrücklich fest, hat die Bevölkerung von sich aus die Initiative ergriffen. Immer ging sie, auch in den umliegenden Orten, von Bamberger SA- oder SS-Leuten aus. Wenn der Angeklagte Schmitt eine Reihe von Mitangeklagten durch seine Aussagen belastet hat, so ergab sich für das Gericht die Glaubwürdigkeit u. a. daraus, daß Schmitt sich damit selber aufs schwerste bezichtigt hat und zwar mit einer Offenheit, die in dieser Verhandlung kein anderer Angeklagter an den Tag gelegt hat. Das Gericht erachtete es insbesondere als erwiesen, daß die Zerstörungen in Walsdorf den Angeklagten Bergner und Bäuml, in Trabelsdorf Bergner, Baier und Bäuml zur Last fallen, wobei Bergner die führende Rolle gespielt hat. Den Angeklagten Schmitt, Wirth, Fleischmann und Rost ist u. a. Mißhandlung von Juden nachgewiesen und Erk, Wengler und Dr. Gerneth werden für die Vorgänge in Demmelsdorf, Reckendorf und Burgpreppach, ferner Ullrich für Teilnahme an der Zerstörung in Aschbach verantwortlich gemacht.
Go.

Andreas Stenglein, 23.11.2009

Gutes Erinnerungsvermögen oder Humbug?

Helmut Metzner [*11.12.1968 Bamberg] lässt „vor allem Zeitzeugen zu Wort kommen, deren Schilderungen überliefert sind“. Einer der Protagonisten ist Heinz Ferdinand Fränkel [30.11.1932 – 29.05.2004], mit dessen Glaubwürdigkeit ich ein Problem habe, worauf ich bereits 2009 hingewiesen habe. Dennoch wird er weiterhin zitiert. Ich will daher noch einmal meine Bedenken anführen.

Der Augenzeuge Heinz Ferdinand Fränkel beobachtete den Synagogenbrand vom Haus der Familie Kahn aus und sah, „wie ein Hitlerjunge am Zaun des Hauses Ecke Amalienstraße eine Eisenstange abriss und auf einen älteren Herrn einschlug. Herr Kahn sagte, daran erinnerte ich mich noch sehr genau, das ist ja Herr Lessing!“41
Anmerkung: Fränkel war zum Zeitpunkt des Geschehens nicht ganz sechs Jahre. Dass er sich nach so vielen Jahren noch daran erinnern kann bzw. konnte, scheint mir fraglich.
Der in Betracht kommende OLG-Rat i. R. Hermann Kahn wohnte in der Herzog-Max-Straße 12/2, also 40 bis 60 Meter von der Ecke Herzog-Max-/ Amalienstraße entfernt. Nach den Prozessakten wurde Lessing vor dem Anwesen Röckl in der Amalienstraße geschlagen; das Geschehen konnte folglich von der Herzog-Max-Straße aus nicht beobachtet werden.

Der Haupttäter des Verbrechens an Willy Lessing, ein Angehöriger der Hitler-Jugend, erhielt am 28. November 1938 aus der Hand des höheren HJ-Führers Winfried Dix [1923-2014] in der HJ-Dienststelle in der Luitpoldstraße die goldene HJ-Verdienstnadel für „besondere Leistungen bei der Behandlung von Unter-menschen“.48
Anmerkung: Fränkel benennt den „Haupttäter“ nicht, weil er, wie mir Winfried Dix am 14.11.2008 sagte, das nicht kann und die Äußerungen auf eine Privatfehde mit ihm wegen eines angeblich nicht zufriedenstellend geregelten Versicherungsfalles (D. betrieb ein Versicherungsbüro) zurückgehen.
Als sehr hohe Auszeichnung gab es ein HJ-Ehrenzeichen, das an Mitglieder verliehen wurde, die vor dem Reichsjugendtag am 2.10.1932 bereits in dieser Organisation waren und keine HJ-Verdienstnadel der genannten Art. Ein solches Abzeichen wäre mit Sicherheit von einem höheren Führer (Stamm- oder Bannführer) verliehen worden und nicht von einem kleinen Jungenschafts- oder Jungzugführer, wie es Dix war bzw. gewesen sein soll.

Willy Lessing erlag am 17. Januar 1939, zwei Tage vor seinem 58. Geburtstag, seinen Verletzungen. Er hatte sich von den Folgen der Misshandlungen nicht mehr erholt.50
Anmerkung: Lt. Urteil des Landgerichts Bamberg vom 26.11.1946 wurden die zwei Angeklagten Körk und Stadler wegen Verbrechen des schweren Landfriedens-bruchs in Tateinheit mit schwerer Körperverletzung mit Todesfolge verurteilt.
Für diese Feststellung bzw. für die Behauptung, dass Lessing an den Folgen der in der Reichspogromnacht erlittenen Körperverletzungen gestorben ist, gibt es keine Anhaltspunkte. Nach dem Sterbebuch des Standesamts Bamberg 1939, Nr. 42, und der Sammelakte beim Stadtarchiv Bamberg ist Wilhelm Heinrich Israel Lessing, israelitisch, am 17. Januar 1939 im Krankenhaus, Untere Sandstraße 32, um 16 ½ Uhr gestorben. In beiden Dokumenten ist keine Todesursache eingetragen. Im Totenregister der Friedhofsverwaltung ist verzeichnet, dass Lessing nach den Angaben des Oberarztes Dr. Pius Müller an Sepsis, Diabetes mellitus und Herzschwäche gestorben ist.

1946 wurde einem der Peiniger Lessings der Prozess bereitet. Er wurde mit Hilfe des damaligen Generalstaatsanwaltes Thomas Dehler im Rahmen der gerichtlichen Aufarbeitung des Synagogenbrandes zur Rechenschaft gezogen und wegen Körperverletzung mit Todesfolge verurteilt. Er musste eine Haftstrafe von zwei Jahren und vier Monaten verbüßen. Einer der Brandstifter der Synagoge erhielt zwei Jahre Freiheitsentzug. Der verantwortliche ehemalige Kreisleiter und Ober- bürgermeister Lorenz Zahneisen musste vier Jahre einsitzen. Die beiden jungen Männer, die Lessing vor der Synagoge überfielen, kamen nicht vor Gericht.51
Anmerkung: 1946 sind, wie bereits ausgeführt, die zwei Angeklagten Körk und Stadler wegen schwerer Körperverletzung mit Todesfolge [begangen an Willy Lessing] verurteilt worden und zwar zu sieben und sechs Jahren Zuchthaus. Auch die Brandstifter erhielten ihre entsprechenden Strafen. Thomas Dehler hat dabei m. E. keine Rolle gespielt. Die restlichen Täter wurden am 11. April 1949 verurteilt; Zahneisen erhielt vier Jahre Zuchthaus. Die ominösen zwei jungen Männer kamen nicht vor Gericht, weil am Tathergang keine zwei jungen Männer beteiligt waren. Fränkel sah übrigens nur einen Hitlerjungen (egal, wie er ihn benennt), der seiner Fantasie entsprungen zu sein scheint.

Andreas Stenglein, 6. November 2015

Die Abkürzung ASB steht für Archiv der Stadt Bamberg und wird auch so verwendet; B.S. ist gleichbedeutend für „Bamberg-Sammlung“.

Siehe auch: Drei Bamberger Parteien mit ähnlichem Schicksal

Vergleiche: Der Bamberger mosaischen Glaubens, der für seine Überzeugung starb
Die ist Fille Das Gaustadter Obere Wirtshaus