Gaustadter Wintermärchen oder bedenkliche Geschichtsklitterung?

Redakteurin Gertrud Glössner-Möschk meint auf Seite 1 der Beilage „Stadt & Land“ des Fränkischen Tags vom 8. Februar 2006, dass viele Bamberger und auch die Lokalredaktion des FT den heutigen Bamberger Stadtteil Gaustadt nicht kennen würden und dieser deshalb vorgestellt werden müsse. Sie probiert es – richtig geklappt hat das Vorhaben aber nicht.

Zuerst kommt der Bamberger Oberbürgermeister Herbert Lauer mit einem Rückblick auf die Geschichte Gaustadts zu Wort, der sie allenfalls vom Hörensagen kennt und nicht gerade als Kenner dieser Materie ausgewiesen ist.1 Er schreibt, dass Gaustadt 1136 erstmals urkundlich erwähnt worden ist, sich aus einem klösterlichen Landgut zur später landwirtschaftlich geprägten Ortschaft entwickelte und 1858 durch die Gründung der Mech. Baumwoll-Spinnerei und Weberei wachgerüttelt wurde. Kenntnisreich fügt er an, dass der Bau eines hierfür nötigen Wasserkraftwerkes durch das starke Gelände-Gefälle zwischen Bamberg und Gaustadt begünstigt worden sei. Er irrt sich in mehrfacher Hinsicht.

Lyzealprofessor Dr. Adam Martinet hat 1845 in seiner Abhandlung über Gaustadt den Grundstock für die Fama der erstmaligen Erwähnung Gaustadts anno 1136 gelegt, indem er unter Bezugnahme auf eine Schenkungsurkunde in Johann Friedrich Schannats Urkundenabschriftsbuch „Vindemiae literariae“ („Gelehrte Weinlesen“) aus dem Jahre 1723-24 behauptet, dass ein Erchanbrecht im Jahre 1136 seinen Gaustadter Besitz dem Kloster Michelsberg gestiftet hat. Die Jahreszahl steht jedoch nicht in der Urkunde, sondern am Rand derselben und ist, worüber es überhaupt keinen Zweifel geben kann, später dazugeschrieben worden.2 Bibliothekar J. H. Jäck übernahm die Zahl und garnierte sie mit dem Zusatz „7. November“.3 Beide machten aus dem Stifter Erchanbrecht, „canonicus et presbiter de novo Monasterio“, einen Kanoniker am Neumünster in Würzburg. Der Dritte im Bunde, Studienprofessor Dr. Konrad Arneth, Verfasser der Gaustadter Ortschronik, legte das Jahr 1015 als Jahr der mutmaßlichen Ersterwähnung fest. Alle drei übersehen, was im „Nekrologium“ („Totenverzeichnis“) des Klosters Michelsberg unter den Gedenktagen vom 30. April nachzulesen ist – dass der Stifter des in Rede stehenden Anwesens (heute: Hauptstraße 32a) ein Priester des neuen Klosters von St. Jakob Bamberg war, nämlich Erkenbertus, Presbyter s. Jacobi, der seinen Gaustadter Besitz dem Kloster Michelsberg schenkte („Hic detit praedium suum …“). Da dieses Kloster 1071 unter Bischof Hermann (1065-1075) gegründet und bereits 1072 vorübergehend mit dem Kloster Michelsberg vereinigt wurde, kann die Schenkung und damit die erste Erwähnung Gaustadts nur 1071/72 erfolgt sein.

Die Ausführungen über die Spinnerei (das war die übliche Bezeichnung) können nicht unwidersprochen stehen bleiben. Sie wurde in Gaustadt nicht wegen der besseren topografischen Verhältnisse gegründet, sondern deshalb, weil – etwas vereinfacht – die industrie- und arbeiterfeindliche Stadt Bamberg die Gründung in der Gegend der heutigen Kaliko u. a. mit der Begründung ablehnte, dass die Arbeiterschaft das soziologische und politische Gefüge der Stadt durcheinander bringen könnte.

Dass er die Kaiserdom-Brauerei über den Schellenkönig lobt, ist in gewisser Hinsicht verständlich, zeugt aber nicht gerade von großer Kenntnis der wirklichen Verhältnisse. Sonst müsste er wissen, dass die Gaustadter Gemarkung sich vom Michelsberger Wald bis zur früher weiter nördlich fließenden Regnitz erstreckte, dass etwa die Hälfte des heutigen Hafengebiets ursprünglich Gaustadter Hoheitsgebiet war und dass die Fa. Rudolf Zimmermann GmbH (RZB) auf Gaustadter Gebiet angesiedelt ist und mit ihren rd. 400 Beschäftigten nunmehr zu den leistungsfähigsten Steuerzahlern der Stadt Bamberg gehört.

Der auf Seite 3 mit „In Gaustadt lässt es sich leben“ überschriebene Artikel von Frau Glössner-Möschk entspricht über weite Strecken nicht den Tatsachen. Mitschuldig, wenn nicht gar hauptschuldig, dürften die beiden Gaustadter Damen sein, die sie zur Spazierfahrt einluden und ihr so herrlichen Nonsens erzählten. Gelegentlich werde ich darauf eingehen. Zu einem Punkt will ich mich jedoch jetzt schon äußern – zu dem, dass sich der Gaustadter Bürgerverein für ein Zusammenwachsen des Oberen und des Unteren Dorfs eingesetzt und dies letzen Endes bewerkstellig hätte. Diese Behauptung stellt die Wahrheit auf den Kopf! Die Bewohner des Unteren Dorfs blieben weitestgehend unter sich. Sie hatten mit den Bewohnern des Oberen Dorfs herzlich wenig am Hut. Der nun hoch gelobte Bürgerverein war – auf einen einfachen Nenner gebracht – ein Verein zur Vertretung der Interessen der Alteingesessenen im Unteren Dorf (die weitgehend mit denen der Rechtler identisch waren) gegen die der Neubürger im Oberen Dorf, insbesondere gegen die der Fabriker. Erst als die Bewohner des bäuerlich strukturierten Unteren Dorfs durch die wirtschaftlichen Verhältnisse zur Aufnahme unselbständiger Arbeiten in der Spinnerei gezwungen wurden, näherten sich beide Teile wohl oder übel an. Der Bürgerverein, dessen Wirkungskreis sich in erster Linie auf den Bereich von der Bürgerbräu bis zum Oberen Wirtshaus erstreckte, hat dies nicht befördert. Seine Mitglieder – jedenfalls die meisten davon – schauten über dieses Gebiet nicht hinaus (ob sie es nicht konnten oder wollten, lasse ich dahingestellt). Den Bewohnern des Oberen Dorfs war der Bürgerverein eigentlich wurscht, etwas feiner ausgedrückt: nicht oder kaum der Rede wert. An diesen Tatsachen ändern auch noch so seltsame Versuche der Geschichtsklitterung nichts.

Andreas Stenglein, 11. Februar 2006


1) In der Diskussion um die sog. Rotenhanmarter an der Unteren Sandstraße gegenüber der Einmündung des Maienbrunnens wurde – siehe FT vom 2. Februar 2002, „Nicht zu glauben – aber wahr!“ vom Amt für Denkmalpflege die Meinung vertreten, dass die Marter die westliche Stadtgrenze bildete. Auf meinen Vorhalt hin, dass dies nicht stimme, relativierte Lauer die Ansicht und vertrat dann die Meinung, dass der Bildstock „als Grenzmarke der Immunität St. Jakob diente“, was noch falscher (eigentlich unzulässige Steigerung von falsch) war, weil der Maienbrunnen zur Immunität St. Michael und nicht zu der von St. Jakob gehörte (die bekanntlich dahinter lag).

2) Die dazugeschriebene Jahreszahl 1136 könnte evtl. von Dr. Martinet selber stammen, der höchstwahrscheinlich als erster Forscher die in Rede stehenden Archivalien benutzte.

3) Jäck hat offensichtlich bei Martinet abgeschrieben. Das kann gar nicht anders sein. Wie sonst hätte er ausgerechnet auf den „7. November“ kommen können? Diese Datumsangabe gehört zu Abt Herrmanns Regentschaftszeit in Spalte 1; siehe den Ausriss. Damit verrät er sich als Plagiator.

 

Winter