Reichsgerichtsrat Melchior Stenglein (1825-1903)

Zu den bedeutenden Juristen des 19. Jahrhunderts zählt zweifellos der 1825 in Bayreuth geborene Melchior Stenglein, der sich besonders als Herausgeber der deutschen Partikular-Strafgesetzbücher einen Namen gemacht hat.*

Ich hole etwas weiter aus und beginne beim Vater.
Melchior Ignatius Nicolaus Stenglein ist am 21. Oktober 1790 als Sohn des Stadtvogts Christoph Friedrich Stenglein (*5. April 1744 Lichtenfels) und dessen Frau Anna Rosina, geborene Limmer (*26. Oktober 1755 Bamberg), in Kronach zur Welt gekommen. Taufpate war sein Onkel, der Bamberger Theologe und Professor für Dogmatik, Dr. Dr. Melchior Stenglein (*29. Dezember 1745 Lichtenfels).1 Seine zwei Brüder Gallus und Christoph starben unverheiratet. Zwei seiner drei Schwestern verehelichten sich (Benigna mit dem späteren Rentamtmann von Burgwindheim, Karl Moritz Guth, und Eleonore mit dem Landrichter und späteren Stadtkommissar von Landshut, Martin Aschenbrenner), eine (Franziska) blieb ledig.
Er studierte in Bamberg, Würzburg und Landshut. Nach verschiedenen Tätigkeiten, zuletzt ab 1838 als Regierungsdirektor von Unterfranken, wurde er 1840 Regierungspräsident von Oberfranken und Staatsrat im a. o. Dienst. 1841 wurde er persönlich geadelt.
Verheiratet war er mit der Mariama von Kammerlohr (*27 August 1795 Windischeschenbach, – 19. April 1827 Bamberg) und der Maria Sophia von und zu Egloffstein (*1804).
Gestorben ist er am 10. September 1857 in Bayreuth; beerdigt wurde er tags darauf in Bamberg. „Mit ihm“, so heißt es in einem Nachruf, „ist einer der anhänglichsten, treuesten Unterthanen des Königs, einer der ausgezeichnetsten unter den hohen Staatsbeamten untergegangen …
Aus seiner ersten Ehe stammten drei Kinder: Maria Anna Rosina (*8. Juni 1822, +20.April 1823 Bayreuth), Rosina Elisabeth Maria (*17. April 1824 Bayreuth) und Melchior Ignaz Hermann Heinrich Christoph (*4. Oktober 1825 Bayreuth). Die zweite Ehe war kinderlos.

Rosina wurde am 8. April 1847 von Maximilian Georg Joseph von Enhuber (*26. November 1814 Nördlingen, + 18. Januar 1888 München) geehelicht; sie verstarb am 2. Januar 1890 in München. Enhuber, Appellations- bzw. OLG-Rat, spielte 1871 als Mitglied des Comités der (Museums-)Katholikenversammlung im Zuge der Auseinandersetzung um das Unfehlbarkeitsdogma und der Gründung der sog. altkatholischen Bewegung eine führende Rolle.

Melchior (jun.), das war der schlichte Rufname, studierte Jura in Würzburg (vom WS 1844/45 bis einschließlich WS 1848/49, dort Corps Bavaria Würzburg) und Heidelberg (SS 1847, Matrikel VI, S. 38, Nr. 83). Er verheiratete sich am 8. Februar 1855 in Bayreuth mit der Rittergutsbesitzertochter Emma von Regemann (*22.11.1831 in Aschaffenburg), Tochter des Hermann Konstantin von Regemann und dessen Frau Emilie, geborene Rühle von Lilienstern.
Seine beruflichen Stationen waren: Assessor in Bayreuth (1851), Staatsanwalt in München (1854-62, 1864-68) und Passau (1862-64), Appellationsgerichtsrat in München (1868), Advokat in München (1872), Reichsanwalt (1879) und Reichsgerichtsrat (1888) in Leipzig bis zu seiner Ruhestandsversetzung am 1. Januar 1898.
In München hat er in der Amalienstraße 87/4 und in der Maximilianstraße 33/3 gelebt, in Halle a. d. S. in der Prinzenstraße 10 (heute: Friedrich-List-Straße).
Neben seinem Beruf, in dem er es wie kein anderer aus dem oberfränkischen Raum zu höchstem Ansehen brachte (vom späteren Bundesjustizminister Thomas Dehler [1897-1967] abgesehen, dessen Karriere ich unter etwas anderen Gesichtspunkten betrachte), engagierte er sich auch politisch. Von 1863 bis 1879 gehörte er als Abgeordneter des Wahlbezirks Kronach dem Bayerischen Landtag für die Liberale Mittelpartei und von Januar 1874 bis Januar 1877 dem Deutschen Reichstag – Wahlkreis 2 Oberfranken – für die National-Liberale Partei an. Im Landtag war er, wie die einschlägigen Landtagsakten – nach einer Zusammenstellung des Landtagsamtes – zeigen, besonders auf dem rechtspolitischen Gebiet eine renommierte Persönlichkeit.
Laut Sterbeurkunde der Stadt Tegernsee ist er am 8. Juli 1903 in Tegernsee im Haus des Hofapothekers Carl Auth in der Rosenstraße 82 (heute: 32), gestorben. Als Wohnort ist „Halle a. d. Saale“, als Bekenntnis „protestantische Konfession“ angegeben.2 Im „Biographischen Jahrbuch“ steht: „Seine Asche ruht in Jena.“ Der Beweis, dass er in Jena beigesetzt worden ist, ist nicht zu erbringen, da in der fraglichen Zeit der Name Stenglein weder im Totenbuch des Nordfriedhofs noch im Urnenverzeichnis des Johannisfriedhofs auftaucht. Ob er bei seinem Ableben evangelisch, also konvertiert, war oder ob es sich um einen Fehler auf der Sterbeurkunde handelt, konnte ich nicht klären. Nicht auszuschließen ist, dass „altkatholisch“ gemeint sein könnte, weil er – ich meine, das irgendwo gelesen zu haben – im späten Lebensalter dorthin tendiert haben soll.
Er war Träger des Preußischen Roten Adlerordens 2. Klasse, des königlich-sächsischen Albrechtordens 2. Klasse und des fürstlich-hohenzollernschen Hausordens 3. Klasse.3
Drei Kinder sind von ihm bezeugt, die in München das Licht der Welt erblickt haben: Melchior Gustav (*6. Juni 1856), Hermann (*12. Juli 1857) und Maria (* ca. 1856/1860).

  • Melchior Gustav war Ingenieur und hat 1905 in Berlin, Köpenickerstraße 17, gewohnt.
  • Hermann ist Oberstleutnant gewesen. 1923 ist er (von Hailer, Kreis Gelnhausen, kommend) wieder in München zugezogen und hat sich dann nach Traunstein abgemeldet.
  • Die Tochter Maria ist, weil sie nicht in den katholischen Taufmatrikeln Münchens erscheint und die Mutter reformierter Konfession war, vermutlich evangelisch getauft worden. 1881 hat sie sich mit Prof. Dr. Edmund Leser (*1. Mai 1853 Münster/Westfalen) verheiratet, der in Halle, Prinzenstraße 11, als Chirurg eine Privatklinik unterhielt.

DER GROSSE HERDER weist Melchior Stenglein – auf den ich bei meinen umfangreichen Forschungen über die heute weit verstreute Sippe Stenglein gestoßen bin –4 als deutschen Strafrechtslehrer und Kommentator zum Strafgesetzbuch und Nebengesetzen und zur Strafprozessordnung aus. In der Professorenliste von Leipzig, was naheliegend wäre, taucht er nicht auf, auch nicht in denen von Jena und Halle-Wittenberg. Wahrscheinlich hat er qua Amt gelehrt. Darüber wie auch über sein juristisches Wirken überhaupt sollten eigene Forschungen angestellt werden, was z. B. im Wege eines Forschungsauftrages geschehen könnte.

 


Der Aufsatz ist im „Jahrbuch der Juristischen Zeitgeschichte„, Band IV (2002/2003), hg. von Prof. Dr. Dr. Thomas Vormbaum (Institut für Juristische Zeitgeschichte der FernUniversität in Hagen) im Berliner Wissenschafts-Verlag Seite 341 ff., veröffentlicht.

Jede Verwertung, insbesondere das Herstellen von Kopien sowie die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen, ist ohne meine Einwilligung nicht erlaubt.

Andreas Stenglein, im Juni 2006


*) Dekan Professor Dr. Dr. Thomas Vormbaum, der Direktor des Instituts für Juristische Zeitgeschichte der FernUniversität Hagen, hat mich gefragt, ob ich eine Kurzbiografie von Melchior Stenglein in Form eines Aufsatzes für das „Jahrbuch der Juristischen Zeitgeschichte“ beisteuern wolle. (Mit dem Dekanat bin ich in „Berührung“ gekommen, weil ich nach einem Porträt Stengleins suchte und glaubte, dass ich an der Universität Hagen fündig würde.) Gerne komme ich diesem Wunsche nach.

1) Der in hochfürstlich-bambergischen Diensten stehende Christoph Friedrich Stenglein, der neben dem genannten Bruder Melchior (Dr. Dr.) drei weitere Brüder in höheren geistlichen und weltlichen Stellungen (Johann Josef: Jesuit und Professor, Georg Xaver: Hofrat und Christian Wilhelm: Hofrat bzw. Landesdirektionsrat) sowie eine unverheiratete Schwester Franziska hatte, war ein Sohn des Lichtenfelser Amtsvogts und Kastners Johann Josef Stenglein aus dessen dritter Ehe mit der Maria Alexandrina Benigna Bauer von Heppenstein (geheiratet am 8. Juli 1737).
Johann Josef Stenglein begann am 23.12.1708 in Drosendorf an der Aufseß als Spross des Bauern und Bürgermeisters Christoph Stenglein mit dem Hausnamen „Zöttlein“ und dessen zweiter Frau Margareta, geborene Weiß, seine irdische Wanderschaft. Benigna hat am 5.8.1714 in Hollfeld als Tochter des Amtsverwesers Peter Philipp von Heppenstein und dessen Frau Anna Sibylle, geborene Sünder genannt Mahler, das Licht der Welt erblickt.
Die Mutter Anna Rosina Limmer war eine Tochter des Hofrats Andreas Friedrich Limmer (*16.11.1723 Kronach) und dessen Frau Maria Franziska Margareta, geborene Pfleger (*25.10.1731 Vilseck). Sie hatte zwei Brüder: den Regens des Bamberger Priesterseminars und Pfarrer von Sankt Martin, Gallus Ignaz Limmer (*22.1.1757), und den Kronacher Bürgermeister Anton Ferdinand Limmer (*10.5.1759). Nach Melchiors Tod (+ 25.7.1803 Kronach) übersiedelte sie mit den Kindern nach Bamberg (Steinweg 905 b, heute Gangolfsplatz 4).

2) Sowohl die Geburts- als auch die Sterbedaten sind hin und wieder falsch angegeben.

3) Das Bayerische Hauptstaatsarchiv München verfügt in den „Ministerialaktenbeständen“ über die Personalakte Stengleins (1853-97, 1903) mit einer Beiakte zum Entwurf eines Strafgesetzbuches – MJu – 1984 – und über die Vorgänge wegen der Ordensverleihungen: Verleihung des (bayerischen) Ritterkreuzes I. Klasse des Verdienstordens vom hl. Michael (7.8.1885) und Genehmigung zur Annahme der auswärtigen Orden – OA 6278 und OA 9177 -.
Die Reichs-Personalakte befindet sich beim Bundesarchiv Berlin – Personalia Nr. 952 -.

4) Die Forschungsergebnisse sind in mehreren Arbeiten zusammengefasst, u. a. in: „Die Bischberger Stenglein“, Band IV, mit dem Untertitel „Die Stenglein im Hochstift Bamberg im späten Mittelalter und zu Beginn der Neuzeit“, Bamberg, Oktober 1989/2001 und „Der Hofrat Johann Josef Stenglein und seine Abkömmlinge“, Bamberg, September 1997 (Der Hofrat Johann Josef Stenglein und seine Abkömmlinge).

Ergänzung: Melchior Gustav Stenglein